Isolde Schaad
Das Schweigen der Agenda. Geschichten vom Innehalten und Aufhören




Leitmotiv

Aufhören! Dieser Zeigefinger auf den Jahrgang, dieser Imperativ des Kalenders, der uns als ausgemustert anzeigt – was tun wir, wenn die Endlichkeit an die Tür klopft? Ergreifen wir die Flucht nach vorn, eine, wie es heute heißt, proaktive Maßnahme, um sich gegen Enttäuschung und Resignation zu schützen? Aufhören, der schwerste Anfang.

Alte Frauen schauen zum Fenster hinaus, die Umwelt im Blickfeld.
Sie möchten den Anschluss an das Leben nicht verpassen, denn das Leben spielt sich jetzt außerhalb ihrer Wohnung ab, sie stellen sich vor, von oben, aus der Vogelschau den Überblick zu haben, aber das Leben, das sie von oben erblicken, ist nicht mehr ihres, es findet in weißen Turnschuhen statt, mit bloßen Knöcheln in überlangen Mänteln, Joggingdressen und Strickmützen. Die Eleganz, die ihre Generation gepflegt hat, ist verschwunden, Eleganz ist ein Fremdwort geworden.

Alte Frauen werden übersehen, es sei denn, sie sind Künstlerinnen, die oft erst im Alter eine blendende Karriere hinlegen, Stichwort Louise Bourgeois. Als Autorinnen sind sie hingegen bloß das  unscheinbare Pendant zu den überaus präsenten alten weißen Herren, die von jungen Genderbewegten, von farbigen Zeitgenossinnen abgetischt werden wollen. Alte weiße Frauen?  Ein Seitenwagen der MeToo-Bewegung, die einen neuen Sexismus entfacht? Das könnte noch kommen. Bald werden alte weiße Frauen eine identitäre Minderheit sein, die dann jemand für schützenswert erklärt. Dann kommen sie in den Zoo der Genderkorrektheit. Das ist nicht der Himmel, oh nein.


https://www.limmatverlag.ch/programm/titel/944-das-schweigen-der-agenda.html

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